Zwischen Wahrheit und Wirklichkeit

Julian Reichelt ist einer der profiliertesten und zugleich polarisierendsten Medienmacher Deutschlands. Als langjähriger Kriegsreporter, später Chefredakteur der BILD-Zeitung und heutiger Gründer sowie Chefredakteur des Medienportals NIUS, versteht er es wie kaum ein anderer, gesellschaftliche Strömungen zu erkennen, politische ­Debatten anzufeuern und dabei kein Blatt vor den Mund zu nehmen.


? Herr Reichelt, die Bundestagswahl ist gelaufen, die Regierung steht. War das eher ein Thriller mit offenem Ende oder doch eine Soap mit vorhersehbarem Drehbuch?

Julian Reichelt: Ganz klar ein wirtschaftlicher Thriller mit offenem Ende. Das zentrale Thema dieser Regierung wird die Lage der Wirtschaft sein. Meines Erachtens ist es sogar drängender als das Thema Migration. Bei der Migration gibt es im Wesentlichen zwei Bereiche: die laufende illegale Zuwanderung – also das, was an der Grenze passiert – und vor allem die bereits im Land befindliche Migration. Diese verursacht jetzt schon enorme Kosten, und diese Kosten werden nicht nur weiter steigen – sie werden explodieren. Was in den letzten zehn Jahren ­migrationspolitisch schiefgelaufen ist, lässt sich kurzfristig kaum rückgängig machen – auch wenn ich mir genau das wünsche. Doch irgendjemand muss das bezahlen, wenn wir keine massiven Verteilungskämpfe bis hin zu sozialen Unruhen riskieren wollen. Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir wirtschaftliches Wachstum – und das ist aus meiner Sicht die vordringlichste Aufgabe. Schon in der ersten Woche zeigt sich bei Friedrich Merz ein Hang zur internationalen Bühne. Das kann man nachvollziehen, internationale Themen gibt es genug. Aber die ­entscheidende Arbeit dieser Regierung muss hier im Land ­passieren: bei Investitionsbedingungen, bei der Steuer- und ­Abgabenlast – insbesondere für den Mittelstand – und beim ­Thema Energiekosten. Das ist das zentrale strategische Feld.

? Jede Regierung ist eine Wundertüte – mal gibt’s Gold, mal heiße Luft. Wo sehen Sie die größte Chance der neuen Koalition?

Julian Reichelt: Die größte Chance liegt darin, dass die Lösungen für die strukturellen Probleme dieses Landes im Prinzip ganz einfach sind und sich mit zwei Worten zusammen­fassen lassen: gesunder Menschen­verstand. Wenn Energie zu teuer ist, braucht man mehr davon. Wenn zu viel Migration stattfindet, braucht es geschlossene oder streng regulierte Grenzen. Wenn die Abgabenlast zu hoch ist, müssen die Abgaben gesenkt ­werden, damit wieder investiert wird. All diese Antworten sind klar und basieren auf gesundem Menschenverstand. Die ­entscheidende Frage ist: Hat diese Regierung – die ja zur ­Hälfte, wenn auch nicht im Wahlergebnis, aus Linken besteht – die Kraft, ­diese einfachen Antworten zu geben? Nach den ersten ­Tagen und Wochen habe ich da große Zweifel.

Keine Zeit für linke ­Experimente

? Welche Hoffnungen, Prognosen oder auch Befürchtungen ­haben Sie mit Blick auf die derzeitigen Regierungsparteien?

Julian Reichelt: Meine größte Befürchtung ist, dass die Sozialdemokraten die Regierung in Richtung einer wirtschaftlich schädlichen linken Politik ziehen. Schon in den Koalitions­verhandlungen zeigte sich, wie knallhart die Sozis unter Lars Klingbeil verhandeln. Ein Beispiel: der gesetzlich verordnete Mindestlohn von 15 Euro. Die Ansage der SPD hierbei ist sehr klar: Wenn die „unabhängige Kommission“ das nicht beschließt, ­regeln wir es per Gesetz. Die CDU wiederum hat sich mit ihrer – aus meiner Sicht historisch gescheiterten „Brandmauer”-Logik – selbst ins Abseits gestellt. Sie kann Mehrheiten faktisch nur links suchen und das stärkt natürlich das linke Lager. Meine Sorge ist, dass sich die Linken in vielen Politikfeldern durchsetzen. Für verrückte linke Ideen – und das sage ich ohne Über­treibung – haben wir allerdings exakt noch null Tage Zeit. Besonders nicht für ideologisch verblendete Experimente in der Energiepolitik. Zwei fatale Signale sind der völlige Verzicht auf das Wort „Atomkraft“ im Koalitionsvertrag und das fehlende Bekenntnis zum Ver­brennungsmotor – einer der brillantesten Technologien, die dieses Land hervorgebracht hat. Bei Persönlichkeiten wie Merz, Spahn, Linnemann oder Reiche sehe ich grundsätzlich vernünftige Positionen. Die Frage bleibt: Werden sie bereit sein, diese Überzeugungen dem linken Druck zu opfern?

? Gibt es dennoch Hoffnung?

Julian Reichelt: Ich bin mir nicht sicher, ob der Begriff ­„Hoffnung” der Lage gerecht wird. Wir haben schlicht keine Zeit für Hoffnung. Wir haben sehr konkrete Probleme und es gibt sehr konkrete Antworten darauf. Diese müssen jetzt gegeben ­werden. Wenn Energie zu teuer ist, weil sie zu knapp ist, hilft kein Hoffen – dann muss gehandelt werden.

? Thema Energiepolitik: Sie äußerten sich jüngst besorgt über die Abschaltung von Kraftwerken. Welche konkreten Folgen erwarten Sie – und was wären Ihre Alternativen?

Julian Reichelt: Für einen Industriestandort wie Deutschland gibt es keine Alternative zu grundlastfähiger Energie. Das sind: Kohle, Gas und Atomkraft. Diese drei sichern in ausreichender Menge stabile Energieversorgung. Kohle fällt weg, Atomkraft ist abgeschaltet – bleibt das Gas. Und selbst das reicht nicht aus. Ohne massiven Ausbau der Gaskraftwerke und eine Rückkehr zur Kernenergie werden wir nicht genug Strom haben. Ein ­Beispiel: Allein die benötigte Energie für künstliche Intelligenz – ­also für die Rechenleistung – könnte nicht einmal durch die ­komplette erneuerbare Energieproduktion Deutschlands ­gedeckt werden. Photovoltaik und Wind reichen dafür schlichtweg nicht aus.

? Sie sagten kürzlich, für viele Bürger sei die AfD die einzige Option für einen Politikwechsel. Was hat Sie zu dieser Einschätzung bewogen?

Julian Reichelt: Ich beziehe mich dabei auf die Programmatik – besonders im Bereich Migration. Vor der Wahl war die AfD die einzige Partei, die in diesem Feld wirklich einen Politikwechsel wollte. Die CDU hat im Wahlkampf vieles von der AfD übernommen – um es in den Koalitionsgesprächen wieder aufzugeben. Das ist das kommunikative Dilemma: Die CDU wird erklären müssen, warum sie nicht umsetzt, was sie eigentlich will – trotz parlamentarischer Mehrheit. Das hat es so in Deutschland noch nie gegeben. Und zum Thema Verbotsverfahren: Schon die Idee, die stärkste Oppositionspartei verbieten zu wollen, ist aus ­meiner Sicht brandgefährlich – ja, wahnwitzig. Damit zerstört man das Vertrauen in die Demokratie.

? Die Themen der AfD, sagen Sie, sollten eigentlich CDU-­Kernthemen sein. Ist die CDU zu wenig konservativ?

Julian Reichelt: Ja. Die CDU hat in den großen gesellschaftlichen Konflikten – also im sogenannten Kulturkampf – ihren Kampfgeist verloren. Stattdessen hat sie sich in vielen Bereichen ­grüner Identitäts- und Wirtschaftspolitik angenähert. Dabei hat sie eine zentrale Sache übersehen: Die Stabilität dieses Landes beruht auf wirtschaftlicher Prosperität und auf Wachstum. Auf nichts anderem. Beides ist jedoch mit linker Politik nicht ­vereinbar. Wenn man sich ihr annähert, schenkt man wirtschaftliche Prosperität und Wachstum her und gefährdet damit den gesellschaftlichen Frieden.

Grüne Wahlniederlage und autoritäre Tendenzen

? Sie äußerten die Befürchtung, dass die Grünen im Falle einer Wahlniederlage autoritär reagieren könnten. War die Wahl für die Grünen eine solche Niederlage?

Julian Reichelt: Absolut. Die Grünen haben die Wahl krachend verloren. Und sie haben daraufhin versucht, die Legitimität des Ergebnisses infrage zu stellen – mit dem Verweis auf mögliche ausländische Einflussnahme. Das ist gescheitert – nicht zuletzt, weil ihre mediale Deutungshoheit stark beschädigt ist.
Viele Menschen erkennen inzwischen: Linke, grüne, ökosozialistische und kollektivistische Ideen führen nicht zu Wohlstand, sondern zu ­Armut. Die breite Zustimmung, die die Grünen einst bis ins bürgerliche Lager hatten, ist dahin. Heute haben viele Leute schlicht Angst vor grüner Politik, da sie diese als das erkannt ­haben was sie wirklich ist: planwirtschaftlicher, kollektiver Wahnsinn.

? Sie haben die Medienaufsicht kritisiert und betont, dass die „linke Sprache" in den Medien aufgedeckt werden muss. Wie sehen Sie die Rolle der Medienaufsicht in diesem Kontext, und welche Veränderungen würden Sie sich wünschen?

Julian Reichelt: Die Medienaufsicht in Deutschland ist in weiten Teilen eine außer Kontrolle geratene Fantasiebehörde mit ­Fantasie­kompetenzen – teilweise sogar eine Fantasiejustiz. Sie entscheidet darüber, was „wahr” ist – oder sein soll. Das ist ­eine schreckliche Fehlentwicklung. Leider gehört es zur unangenehmen Wahrheit, dass diese Koalition mit einer linken Partei wie der SPD solche ­Fehlentwicklungen, genau wie die Finanzierung des NGO-Kom­­­plexes, nicht nur fortsetzt, sondern mutmaßlich sogar verstärkt. Das ist fatal! Viele Teile der deutschen Medienregulierung gehören in ihrer jetzigen Form nicht reformiert, ­sondern abgeschafft!

? Wie sehen Sie insgesamt die politische Entwicklung in Deutschland – gerade auch im Hinblick auf Medien und ­Meinungsbildung?

Julian Reichelt: Ich glaube, wir befinden uns in einer hochspannenden Zeit, ja in einer historischen Auseinandersetzung – ­vergleichbar vielleicht mit den 60er-Jahren. Es geht um fundamentale Fragen: Wer sind wir? Wovon wollen wir leben? Wen lassen wir zu uns? Da gibt es fundamental unterschiedliche Ausrichtungen zweier politischer Lager mit völlig gegensätzlichen Antworten. Die CDU steckt irgendwo dazwischen – und weiß nicht recht, wo sie hingehört. Ohne eine Wiedervereinigung des bürgerlichen Lagers – CDU, AfD, vielleicht auch Teile der FDP – wird diese historische Auseinandersetzung mit dem linken ­Lager nicht zu gewinnen sein. Und wenn sie verloren geht, führt das zwangsläufig zu Armut und Niedergang.

Mittelstand: Letzter Motor Deutschlands zwischen Krise und Chance

? Als Chefredakteur von NIUS und früher der Bild haben und hatten Sie den Finger stets am Puls der Gesellschaft. Wie ­sehen Sie die Lage des deutschen Mittelstands? Ist er noch der Motor der Nation oder bereits im Leerlauf?

Julian Reichelt: Auch ein Motor im Leerlauf bleibt ein Motor. Der Mittelstand ist der einzige Motor, den dieses Land hat. Hinter ihm kommt nichts mehr. Der Mittelstand ist die deutsche Wertschöpfungskette. Wird er durch Energiepolitik, Bürokratie, hohe Steuern und Abgaben zerstört, haben wir keine Wirtschaft mehr. Ich denke, viele Menschen sind sich dieser global einzigartigen und nicht ersetzbaren Struktur gar nicht bewusst. ­Natürlich ist es dem Mittelstand unbenommen sich selbst zu transformieren und neu zu erfinden, neue Geschäftsmodelle oder Technologien zu entwickeln, aber er darf nicht durch planwirt­schaftliche Ideen der Politik in falsche Bahnen gezwungen ­werden.
Der Mittelstand steckt nicht in einer Kreativitäts- oder Produktivitätskrise – sondern in einer tiefen, politisch verursachten Krise. Und wenn man dem Mittelstand nicht die ­Möglichkeit gibt, seine eigenen Kräfte wieder zu entfesseln, dann zerstören wir unsere Volkswirtschaft.

? In der Medienlandschaft haben Sie oft für Schlagzeilen ­gesorgt. Welche Überschrift würden Sie der aktuellen ­Mittelstandspolitik der Bundesregierung verpassen?

Julian Reichelt: Es ist vielleicht noch etwas früh für ein finales Urteil. Aber eine Schlagzeile zur Orientierung wäre: „Schluss mit dem Abgabenirrsinn, Schluss mit dem Bürokratieirrsinn, Schluss mit dem Energieirrsinn – tut alles für unseren Mittelstand!“

„Kämpft um euer Leben!“

? Und wenn Sie dem Mittelstand nur drei Worte mit auf den Weg geben dürften?

Julian Reichelt: Es sind vier: Kämpft um euer Leben! Weil es nötig ist – und weil es für unser Land der wichtigste Kampf ­überhaupt ist.